Muss die Rolle der NATO überdacht werden?

In Amerika haben die beiden Anti-Establishment Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Bernie Sanders mit ihren Äusserungen zur ungerechten Kostenverteilung innerhalb der NATO eine Diskussion um die Rolle der Nato im post-sowjetischen Zeitalter losgetreten.

Die massgeblich amerikanische Finanzierung des Verteidigungsbündnisses durch die USA stelle einen wirtschaftlichen Betrug am amerikanischen Volk dar.

Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, dass die Meinung der beiden Kandidaten nicht so abwegig ist, wie sie von den Mainstream-Medien dargestellt wird:

Bereits General Eisenhower warnte als erster NATO-Oberbefehlshaber 1951, dass die zu Verteidigungszwecken in Europa stationierten amerikanischen Truppen innerhalb von 10 Jahren nach Hause zurückkehren müssten, damit das Verteidigungsprojekt des alten Kontinents als vom Erfolg gekrönt betrachtet werden könne.

1961 mahnte Eisenhower den gerade zum Präsidenten gewählten J. F. Kennedy an, die Truppen aus Europa abzuziehen, weil aus seiner Sicht die USA einen ungebührlich hohen Anteil der Verteidigungskosten der freien Welt trage. Die Mahnung zielte schon damals auf eine grössere Beteiligung der Nato-Mitgliedsstaaten am Verteidigungsbudget der Nato ab.

Während der gesamten Dauer des kalten Krieges hat kein weiterer Präsident den Rat von Dwight D. Eisenhower befolgt.

Erst mit dem Ende des kalten Krieges, der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion in 15 Nationalstaaten, brach die Debatte um die Verteilung der Last der Verteidigungsleistungen im Bündnis neu aus.

Im Gegensatz zu den konservativen Hardlinern waren eher links-liberal  orientierte amerikanische Politiker der Ansicht, die Truppen nun aus Europa zurück zu holen, nachdem die  russischen Truppen nach Hause zurück gekehrt waren. Die Zeit sei Zeit gekommen, das sich das einwohnerstarke Europa selbst verteidigen könne.

Angetrieben von der mächtigen Rüstungslobby mit seinem Wahlkampfspenden-getriebenen immensen Einfluss auf beide Lager der amerikanischen Politik, und entgegen der Zusicherung an Gorbatschow, die Nato nicht ostwärts auszudehnen, begann Präsident Bill Clinton und später auch George W. Bush mit der Erteilung von Nato-Mitgliedschaften und den damit verbundenen Verteidigungs-Garantien an alle früheren Warschauer Pakt Nationen, inklusive der Baltischen Republiken, und dehnten das Einflussgebiet der Nato auf das ehemalige Territorium der Sowjetunion aus.

Mit dieser historischen Provokation hatte die USA ihre „rote Linie“ für einen möglichen Krieg in Europa von der Elbe nur wenige Kilometer von St. Petersburg entfernt an die estnisch-russische Grenze verschoben. Das hiess im Klartext: sollte Russland versuchen, seine Hegemonie über einen Teil seines alten Einflussgebietes in Europa wieder herzustellen, so würde es sich im Krieg mit den Vereinigten Staaten befinden.

Dieses Vorgehen implizit eine nachhaltige Änderung der Nato-Verteidigungsdoktrin. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner der amerikanischen Präsidenten des kalten Krieges es gewagt, eine Verteidigungs-Garantie zu geben, die im Ernstfall die Vereinigten Staaten selbst einer nuklearen Konfrontation ausgesetzt hätte – und dies um Lettland und Estland zu verteidigen.

Der historische Rückblick unterstreicht das klar. 1956 hatte Dwight D. Eisenhower nicht zur Rettung der Ungarischen Freiheitskämpfer interveniert. Die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch Truppen des Warschauer Paktes 1968 blieb ebenfalls ohne Konsequenzen seitens der USA unter Lyndon B. Johnson. Und auch Ronald Reagan hatte es abgelehnt einzugreifen, als General Jaruzelski auf Anweisung Moskaus im Februar 1981 die Solidarność-Bewegung in Polen zerschlug.

Den amerikanischen Präsidenten zur Zeit des Kalten Krieges war offensichtlich die Sicherheit Amerikas wichtiger, als mit einem nuklear ausgerüstetem Gegner wie der Sowjetunion über ein für die USA letztlich unbedeutenden Satellitenstaat einen Atomkrieg zu riskieren.

Warum also weitete George W. Busch die Verteidigungs-Garantie auf Lettland und Estland aus  und was trieb den Senator John McCain dazu, eine ähnliche Garantie auf Georgien und die Ukraine zu fordern?

Die Frage lässt sich nicht schlüssig beantworten und es drängt sich der Verdacht auf, dass die Motive zum teil in nationalem Grössenwahn oder simpler massloser Selbstüberschätzung lagen. Eine bekannte Stimme gegen die Ausdehnung der Nato-Grenzlinien auf die Türschwelle der Russen war einer der grössten geostrategischen Vordenker der USA, George Kennan, der eine Nato-Ausdehnung als grösstmöglichen und schwerwiegendsten Politikirrtum der Zeit nach dem Kalten Krieg bezeichnete und vor den für Amerika nachteiligen Konsequenzen der damit erzwungenen Neuausrichtung der Verteidigungspolitik der Russen warnte.

George Kennan sollte Recht behalten. Durch die ungleiche Behandlung Russlands im Vergleich zu anderen Nationen, die dem Marxismus-Leninismus den Rücken zugewendet hatten, hatte man  mit  Russland einen Gegner geschaffen, der als Nation ein tiefes Misstrauen, ja groll gegenüber dem Westen hegt.

Das russische Volk hat seine Hand in Freundschaft ausgestreckt und zugesehen wie sie ausgeschlagen wurde. Es jubelte der Absetzung des westlich orientierten Boris Jelzins zu und befördete in freien Wahlen Putin an die Macht, der sich als starker Mann und mit dem Versprechen präsentierte, Russland wieder zu Respekt zu verhelfen. Den Weg für Vladimir Putin hat Amerika damit selbst geebnet.

Während sich die aktuelle Diskussion in den amerikanischen Medien auf die finanziellen Aspekte der Verteidigung Europas fokussiert, stehen doch unermesslich grössere Risiken auf dem Spiel, Risiken, die keiner der Präsidenten des Kalten Krieges im Entferntesten eingegangen wäre.

Warum sollte die USA einen Krieg wegen den Baltischen Staaten, Rumänien oder Bulgarien gegen Russland riskieren? Einen Krieg, der fast unweigerlich in einer nuklearen Konfrontation mit Moskau enden würde. Warum muss sich die USA für die Verteidigung von dutzenden von Nationen auf fünf Kontinenten einsetzten?

Trump und Sanders haben die Elite der Außenpolitik provozier, deren Denken in einer Welt von vor 1991 festgefahren ist.

In den von diesen beiden Präsidentschaftskandidaten formulierten Prinzipien der Außenpolitik, wäre eine Einmischung der USA in anderen Ländern nur dann vertretbar, wenn es tatsächlich um nationale Interessen oder um die Möglichkeit eines Angriffs direkt auf die USA ginge. Drittstatten, sowie die Mitglieder des Nato-Bündnisses, müssten sich mit einem angemessen Anteil an den Kosten sowohl der Verteidigung als auch eventueller Konflikte beteiligen. Wie Recht sie haben….

 

 

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